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MieterEcho 303 - April 2004

 

Privatisierung hautnah

 
Erlebnisse eines Gewerbetreibenden aus der Waldemarstraße 42 in Kreuzberg nach dem Verkauf "seines" Hauses

 

Christoph Wartenberg. Vor genau einem Jahr, im Winter 2002/2003, tauchten plötzlich immer wieder feine Herrschaften in unserem Hof auf, die sich durch ihre die Bausubstanz prüfenden Blicke, ihre Kleidung und ihre Fragen an die Mieter deutlich von Touristen unterschieden. Sie wollten unser Haus kaufen. Am 01.05.2003 wurde die Waldemarstraße 42 von der Bewoge für etwas mehr als 600.000 Euro an den 33-jährigen Münchner Investmentberater Andreas Merkel verkauft, der zusammen mit zwei Gesellschaftern weitere Häuser in Kreuzberg und Potsdam aufkaufte. Als er sich kurze Zeit darauf als neuer netter Eigentümer vorstellte, ahnte weder ich als Gewerbetreibender, noch von den Mietern jemand etwas von seinen wahren Absichten. Er versprach fairen Umgang, versicherte uns, dass kein Mieter und speziell ich als einziger Gewerbetrieb des Hauses vorerst keine größeren Veränderungen zu befürchten hätten, eine Modernisierung plane er erst in weiter Zukunft, der Erwerb dieses Hauses diene lediglich seiner Alterssicherung. Der neue Eigentümer Merkel wurde von allen Mietern freundlich und offen angenommen.

 

Schon einen Monat später, Anfang Juni, veränderte sich die Situation im Haus gravierend. In eine leere Wohnung des Seitenflügels zog ein "Mitarbeiter" des Hauseigentümers ein, der ehemalige Wiener Fremdenlegionär Max N. Von diesem Tag an war in der Waldemarstraße 42 an ein normales Wohnen und Arbeiten nicht mehr zu denken. Schon wenige Tage nach seinem Einzug überzog N. Mieter und Besucher des Hauses mit Sprüchen wie: "Ich werde Ordnung und Anstand nach Kreuzberg bringen". Türken sind für ihn prinzipiell Diebe, die überprüft werden müssten, die Kiezbewohner alles Süchtige, die in eine Heilanstalt gehörten. Von 11 bis 17 Uhr stand er wie ein Concierge an der Eingangstür und fragte jeden Kunden vom Fahrradladen, was er dort genau will und jeden Besucher, zu welchem Mieter er warum möchte. Einigen verwehrte er den Eintritt und erteilte "Hausverbote". Die Eingangskontrollen dauerten den ganzen Juni und den halben Juli lang an. N. wollte wissen, wie in den 1970er Jahren der "warme Abriss" und die Vertreibung von Mietern gelaufen ist. N. fuhr jeden Tag mehr die offene Konfrontation gegen die Mieter und deutete an, alle in kürzester Zeit aus dem Haus zu kriegen. Er sei "das Auge, das Ohr und die Faust" seines Münchner Chefs.

Der Hauseigentümer Merkel wurde über das provokante Verhalten seines Mitarbeiters N. schriftlich informiert. Merkels Antwort: "In diesem asozialen Umfeld leben doch viele merkwürdige Personen, da passt doch mein Herr N. prima rein." Ende Juli traf aus heiterem Himmel die Kündigung für den Fahrradladen zum 31.01.2004 ein, auf Rückfrage damit begründet, das Haus möglichst mieterfrei zu bekommen, um ungestört modernisieren zu können. Der ‚Entmieter' Merkel zeigte nun sein wahres Gesicht. Vorbei war es mit seiner Freundlichkeit. Alle Mietverträge wurden auf ihre Schwachpunkte überprüft und wo gekündigt werden konnte, wurde gekündigt oder dies zumindest angedroht. Solche Schwachpunkte waren die Fälle, in denen Mietverträge ‚vererbt' wurden oder wo Bauveränderungen vorgenommen wurden. Einige türkische Familien verließen das Haus aufgrund der Androhung von kräftigen Mieterhöhungen.

Innerhalb weniger Monate verwandelte sich die traditionsträchtige Waldemarstraße 42. In den 1970er Jahren war es ein bekanntes Künstlerhaus, in dem Rosa von Praunheim seine ersten Filmversuche startete. In den 1980er Jahren wurde das Haus besetzt und vor dem Abriss bewahrt. In den 1990er Jahren entstand durch die Arbeit der Mieter einer der schönsten Hinterhöfe Kreuzbergs. Seit 23 Jahren stellt der Hof mit dem Fahrradladen "Radlust" einen vielfrequentierten Teil des Kiezlebens dar. Nun verwandelt sich das Gebäude samt Hof in eine immer leerer werdende Großbaustelle und einen Müllplatz für Bauabfälle. Die Waldemarstraße 42 wird zunehmend zu einem Schauplatz täglicher Auseinandersetzungen mit dem ‚Provokateur' N., und einem Hausbesitzer, mit dem nur über Anwälte zu kommunizieren ist und der auf Mieteranliegen überhaupt nicht mehr reagiert. Dieses Haus mit den meisten Polizeieinsätzen in Kreuzberg, wird zu einem Ort, in dem man nicht mehr wohnen möchte und kann.

Genau dies ist das Ziel des Eigentümers Merkel. Entmieten, modernisieren, die Wohnungen einzeln weiterverkaufen und damit das Vielfache des Kaufpreises als Profit abkassieren. Das nennt man spekulieren. Rücksichtsloses Spekulieren auf dem Rücken der alteingesessenen Mieter. Mietervertreibung und damit Verlust von Heimat und Nachbarschaft. In den inzwischen acht leeren Mieteinheiten haben die Arbeiten zur Luxussanierung begonnen. Der ‚Provokateur' N. ist inzwischen kiezbekannt. Gegen ihn laufen Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung, Diebstahl, Beleidigung, Bedrohung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Landfriedensbruch und Ruhestörung. Merkel wird immer nervöser und offener in seinen Absichten, kommt aus dem Drohen gar nicht mehr raus und ignoriert sämtliche Mieteranliegen.

 

Und nun, als Gewerbetreibender im Exil? Ich habe gemeinsam mit anderen beschlossen, diese Vertreibung und Zerstörung unseres Hauses und des ganzen Kiezes nicht regungslos hinzunehmen und wir haben die "Betroffenengemeinschaft Walde-Kiez" gegründet.

Autor

 

Christoph Wartenberg betrieb 23 Jahre lang im Hinterhof der Waldemarstraße 42 den Fahrradladen "Radlust". Zum 01.03.2004 musste er mit seinem Laden in die Skalitzer Str. 95, Ecke Lausitzer Platz, umziehen.

Kontakt

 

Treffen der Betroffenengemeinschaft Walde-Kiez jeden Montag 19.30 Uhr im Kotti e.V., Adalbertstraße 95 (links neben dem Kreuzbergmuseum)

 

www.waldekiez.org

 

 

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